Meral Sahin

 

Interview mit  Meral Sahin - Geschäftsfrau und Vorsitzende der IG Keupstraße

Meral Sahin ist 1971 in Köln-Kalk auf die Welt gekommen, als erstes Kind ihrer Eltern Zekiye und Ihsan Sahin. Ihr Vater stammt aus einer Kleinstadt in der Westtürkei. Ein Onkel, der bereits als ungelernter Arbeiter bei Felten & Guillaume beschäftigt war, schrieb ihm, dass die Firma dringend Facharbeiter suchte. So kam Ihsan Sahin mit 24 Jahren nach Mülheim, um als Dreher ebenfalls bei F & G zu arbeiten. Bei einem seiner ersten Heimaturlaube lernte er Zekiye kennen, sie heirateten, und das junge Paar zog in eine kleine Wohnung in der Keupstraße 94.  Sieben Jahre nach Meral wurde ihr Bruder Levent geboren, heute Facharbeiter im Eisenwerk in Brühl, und ein paar Jahre später kam Hüseyin dazu, der als Zahntechniker arbeitet.

Die Wohnung in der Keupstraße wurde bald zu klein für die Familie. Außerdem wollte der Vater nicht, dass seine Kinder in der damals recht turbulenten Keupstraße aufwachsen, in deren Wirtshäusern es öfters zu Schlägereien kam. Also zog man in eine größere Wohnung im viel ruhigeren Wesseling. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr ging Meral auf die Realschule der Ursulinen in Wesseling und dann bis zum Abitur auf das Gymnasium in Rodenkirchen. Nach ihrem Abschluss als MTA (Medizinisch-technische Assistentin) an der Rheinischen Akademie arbeitete sie im Labor des städtischen Klinikums in Leverkusen. 1991 hatte sie geheiratet und war zu ihrem Mann nach Köln-Niehl gezogen. 1996 wurde ihr Sohn ... geboren, den sie nach der Trennung von ihrem Mann allein aufzog. Derzeit studiert er Jura, spielt nebenbei Fußball im Verein Rhein-Süd und ist sehr stolz auf seine Mutter, so wie seine Mutter sehr stolz auf ihn ist.

Nachdem das Klinikum in Leverkusen privatisiert worden war, verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen erheblich, und so beschloss sie ihr Hobby zum Beruf zu machen. Schon als junges Mädchen und später neben ihrer Arbeit begeisterte sie sich für Dekorationen, zum Beispiel für Hochzeitsfeiern. Anders als in Deutschland werden bei solchen Festen aufwändige Dekorationen verwendet. In einem Hinterhof in der Keupstraße eröffnete sie ihren ersten kleinen, aber liebevoll eingerichteten Laden für türkische Dekorationsartikel, die es in deutschen Geschäften nicht zu kaufen gab. Solche Artikel galten damals als Luxus damals für die türkischen Immigranten, die sich nichts gönnten und für die Zeit nach ihrer Rückkehr in die Türkei sparten, für ein gutes Leben im eigenen Haus. Die bescheidenen Läden in der Keupstraße dienten damals ausschließlich dazu, die wichtigsten Grundbedürfnisse zu befriedigen. Da man sich nicht vorstellen konnte, dass sie mit einem solchen Laden Kunden anziehen könnte,  prophezeite man ihrem Geschäft keine große Zukunft. Tatsächlich hatte sie jedoch eine Marktlücke entdeckt: die Kinder der ersten Generation von Einwanderern aus der Türkei waren inzwischen erwachsen, und viele von ihnen wollten in Deutschland bleiben und hier ein gutes Leben führen. Und dazu gehörten eben auch große Hochzeiten und Tauffeiern, mit den aus der Türkei gewohnten Traditionen und Dekorationen.

Auch Merals Familie hatte ursprünglich vor in die Türkei zurückzukehren. Noch 1982 hatte ihr Vater erklärt: „Wir gehen zurück!“ Sie selbst wollte mit 15 Jahren, nach der 10. Klasse, in eine Schule in der Türkei wechseln um dort ihren Abschluss zu machen. Als sie jedoch erfuhr, dass es nicht möglich war, nach Abschluss des 16. Lebensjahrs problemlos nach Deutschland zu reisen - das war dann nur noch mit Visum möglich – erklärte sie ihren Eltern, dass sie in Deutschland bleiben wolle. Aber auch ihre Eltern hatten sich inzwischen anders entschieden, auch weil die jüngeren Brüder noch hier zur Schule gingen. Ihre Eltern leben weiterhin in Wesseling.

Nach einem kurzen erfolglosen Intermezzo mit einem gemeinsam mit einer Geschäftspartnerin betriebenen Laden in der Keupstraße eröffnete sie 2003 das Geschäft Meral Deko in der Gladbacher Straße 99. Dort blieb sie, bis ihr Haus in der Gladbacher Straße 95 fertiggestellt war, was sich wegen mehrerer Baustops langwieriger und schwieriger gestaltete, als sie erwartet hatte. Auf zähe Verhandlungen mit dem Liegenschaftsamt für den Kauf des Geländes, das seit 20 Jahren brach lag, folgten Streitigkeiten mit dem Besitzer des Nachbargrundstücks und  verschiedene andere Probleme. Mitte März 2015 war es dann endlich so weit: Meral Deko konnte in die schönen geräumigen und hellen Räume einziehen.

2006 wurde Meral Sahin zur 2. Vorsitzenden der IG Keupstraße gewählt, 2013 avancierte sie zur 1. Vorsitzenden und wurde 2015 in dieser Position bestätigt. Als große Bereicherung betrachtet sie die Mitarbeit an der Produktion des Theaterstücks „Die Lücke“, in dem das nicht leichte Leben der Keupstraßenbewohner, vor allem nach dem NSU- Nagelbombenattentat von 2014, thematisiert wird: „Bei dieser Zusammenarbeit mit dem Schauspiel Köln hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass man mir wirklich zuhört, dass man mir auf Augenhöhe begegnet. Sie haben sich so sehr bemüht das Schreckliche zu verstehen, das uns geschehen war.“ Es hat sie in ihrer Überzeugung bestätigt, dass man die Verschiedenheiten der Menschen respektieren, aber dabei immer auch die Gemeinsamkeiten suchen muss.